Dr. Fox erzählt
Unsinn
Der Vortrag, den Myron L. Fox vor den versammelten Experten im
Jahre 1970 hielt, trug den eindrucksvollen Titel Die Anwendung der mathematischen
Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten. Und den
Teilnehmern des Weiterbildungsprogramms der University of
Southern California School of Medicine wurde Fox als
»Autorität auf dem Gebiet der Anwendung von
Mathematik auf menschliches Verhalten« vorgestellt. Er
beeindruckte die Zuhörer mit seinem gewandten Auftritt
derart, dass keiner von ihnen merkte: Der Mann war Schauspieler
und hatte keine Ahnung von Spieltheorie.
Alles, was Fox getan hatte, war, aus einem Fachartikel über
Spieltheorie einen Vortrag zu entwickeln, der
ausschließlich aus unklarem Gerede, erfundenen
Wörtern und widersprüchlichen Feststellungen bestand,
die er mit viel Humor und sinnlosen Verweisen auf andere
Arbeiten vortrug. Hinter dieser Täuschung standen John E.
Ware, Donald H. Naftulin und Frank A. Donnelly, die mit dieser
Demonstration eine Diskussion über den Inhalt des
Weiterbildungsprogramms initiieren wollten. Das Experiment
sollte die Frage beantworten: Ist es möglich, eine Gruppe
von Experten mit einer brillanten Vortragstechnik so hinters
Licht zu führen, dass sie den inhaltlichen Nonsens nicht
bemerken? John Ware übte stundenlang mit dem Schauspieler:
»Das Problem war, Fox davon abzuhalten, etwas Sinnvolles
zu sagen.«
Fox war sich sicher, dass der Schwindel auffliegen würde.
Doch das Publikum hing an seinen Lippen und begann nach dem
einstündigen Vortrag, fleißig Fragen zu stellen, die
er so virtuos nicht beantwortete, dass niemand es merkte. Auf
dem Beurteilungsbogen gaben alle zehn Zuhörer an, der
Vortrag habe sie zum Denken angeregt, neun fanden zudem, Fox
habe das Material gut geordnet, interessant vermittelt und
ausreichend Beispiele eingebaut. Die Tatsache, dass der Stil
eines Vortrags über seinen dürftigen Inhalt
hinwegtäuschen kann, hieß bald nur noch der
»Dr.-Fox-Effekt«.
Auch nachdem die Zuhörer über die wahre Identität
von Fox aufgeklärt worden waren, erkundigten sich einige
von ihnen nach weiterführender Literatur. Der Vortrag –
obwohl nichtssagend und als Betrug entlarvt – hatte durch seinen
Stil offenbar das Interesse am Thema geweckt. Ware schlug darauf
eine innovative Methode vor, die Motivation der Studenten zu
steigern: Professoren könnten, anstatt selber Vorlesungen
zu halten, Schauspieler dafür trainieren. In der Los
Angeles Times schrieb daraufhin ein Journalist: »Diese
Untersuchung hat Implikationen, die selbst ihre Autoren nicht
bemerkt haben. Wenn ein Schauspieler ein besserer Lehrer ist,
warum nicht auch ein besserer Parlamentarier oder sogar ein
besserer Präsident?« Sieben Jahre später wurde
Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten.
aus: ZEIT 16.09.2004